15.11.2011
Iquique – Chile
Die
Luft roch nach frittierten Empanadas,frisch aufgesetztem Tee und
schwitzenden Leuten als Sie sich gegen 22.00Uhr auf den Weg nach
Hause machte. Der Bass der Musik dröhnte noch nachhaltig in Ihren
Ohren und das Licht das jeden Raum hell erleuchtete blendete
allmählich. Mit 40 Leuten hatte Sie letzten 3 Stunden verbracht. Es
war ein Geburtstag – 7 Jahre wurde der Junge. Es waren zweifellos
schöne Stunden, doch das Maß war voll. Wie es sich gehört hatte
Sie ein Geschenk mitgebracht, viele Begrüßungsküsschen verteilt,
Smalltalk betrieben und ordentlich geholfen das Essen zu vertilgen.
Es wurden Spiele gespielt, Massen an Süßigkeiten verteilt und noch
mehr Essen gereicht.
Noch
einmal vergewisserte Sie sich, dass Sie auch allen Tschüss gesagt
hatte, ging raus vor das Haus und zog die Schnürsenkel Ihrer
Laufschuhe noch ein letztes Mal fest zusammen und machte einen
doppelten Knoten, damit Sie keinesfalls auf dem Weg wegen einer
solchen Banalität anhalten musste, zupfte Ihr gelbes T-Shirt zu
recht steckte die Kopfhörer in die Ohren und joggte los. Rechts
hinunter die Straße entlang bis zur nächsten Kreuzung. Erst langsam
dann ein wenig schneller. Knapp 4 Kilometer sollten es sein, doch mit
dem einen oder anderen Umweg wurden es mehr und mehr. In der
Dunkelheit – nur das hässliche, beißende, orange farbige Licht
der Straßenlaternen verpasste der Gegend etwas leben – fiel es Ihr
leichter abzuschalten und wie jeden Abend, den Tag Revue passieren zu
lassen. Sie näherte sich der Hauptstraße der Sie für eine Weile
folgen würde und konzentrierte sich darauf gleichmäßig zu atmen.
Zu viele optische Reize lenkten Sie jedoch davon ab sich auf das
wesentlich zu konzentrieren, sodass Sie – ohne all die Gefahren in
Betracht zu ziehen - in die nächste kleine Seitenstraße einbog. Da
war Sie also wieder, die Dunkelheit und die Stille die Sie brauchte –
das was Sie unbewusst suchte. Lediglich an jeder Kreuzung befanden
sich Laternen die unheimliche Schatten warfen – der Rest der Straße
war nur spärlich beleuchtet, durch das aus den Häusern scheinende
Licht. Sie lief jetzt auf den Strand zu, parallel zu der Straße, auf
der sich Ihr Haus befand. Noch lag ein weiter Weg zwischen Ihr und
den schützenden eigenen vier Wänden und Sie setzte im gleichmäßig
bleibenden Laufschritt Ihren Weg durch die Finsternis fort. Sie
wollte nachdenken. Deshalb floh Sie aus der scheinbar heilen Welt des
Geburtstags auf dem Sie zu Gast war. Wollte nachdenken, die
Dunkelheit der Nacht ausnutzen.
Immer
weiter hinunter joggte Sie die scheinbar endlose Straße. Wie
ausgestorben wirkte die Gegend. Auf Ihrem iPhone lief grade das
siebte Mal „Dear Mister President“ von Pink als Ihr eine Bewegung
im Gebüsch auffiel. Kurz darauf ein lautes „MIAU“ und es
sprangen zwei Katzen hervor, dann viel ein Eimer aus Metall um, ging
lärmend zu Boden und noch ehe der Deckel ab war, sprangen die Katzen
wie wild auf die einzige Bananenschale die heraus fiel. „Wie
hungrig müssen diese Katzen sein, dass sie sich wie die Geier auf
eine alte Bananenschale stürzen,“ dachte Sie sich und joggte
weiter. Und als hätte dieser Eimer eine Kettenreaktion ausgelöst,
war es vorbei mit der Stille. An der nächsten Ecke kamen zwei
scheinbar betrunkene Männer vorbei. Mehr schlecht als recht
gekleidet – offenbar weil es Ihre Situation nicht zuließ oder Sie
das Geld für den Alkohol ausgaben, Sie mochte das jetzt nicht
beurteilen. Laut pfeifend und lallend riefen Sie Ihr etwas hinterher.
Ein paar Meter weiter: ein Obdachloser der wehklagend auf dem Boden
lag. Eingehüllt in Decken zuckte er regelmäßig zusammen und gab
komische Laute von sich. Er blickte kurz auf und sackte sofort wieder
zusammen. Unbewusst zog Sie das Tempo an, in der Hoffnung den Lärm,
die Geräusche hinter sich zu lassen. Doch es war ein anderer Lärm.
Nicht der, den Sie schon den ganzen Tag vernommen hatte und der Sie
zum Schluss auf dem Geburtstag sichtlich genervt hatte. Nicht der,
von lachenden Kindern, oder der des Laut laufenden Fernsehers oder
der Musikanlage oder etwa der von klirrendem Geschirr bei dem
hastigen Versuch sich noch mehr Essen auf den Teller zu schaufeln.
Nein. Es war das komplette Gegenteil. Eine Welt wie Sie
gegensätzlicher nicht hätte sein können. Während in Ihrer Welt
der Luxus schrie, war es hier das wahre Leben welches schrie.
Die
tagsüber im Lärm der Autos untergehenden Schreie der Armut waren es
hier die die Stille zerissen.
Doch
nicht genug des ganzen. Weiter die Straße hinunter wurden die Häuser
immer spartanischer. Betonmauern wichen einfachen Bretterverschlägen
und Wellblechbuden, Wellblechdächer wichen einfachen Stofftüchern,
sodass Sie für einen Moment dachte sich im Armenviertel zu befinden,
doch das lag am anderen Ende der Stadt. Wieder einmal lagen vor allen
Häusern große Säcke mit Müll und allem möglichen Kram, den
scheinbar niemand brauchte. Vereinzelnd standen Leute im Schutz der
Dunkelheit und unterhielten sich. Hausnummer 1346 – der Haufen Müll
bewegt sich. Sie vermutete zunächst eine Katze doch im selben
Augenblick kamen zwei Kinder zum Vorschein mit einer Tüte und einem
Stock ausgerüstet. Kurz darauf folgte die Mutter mit den selben
Dingen in der Hand. Offensichtlich auf der Suche nach etwas ess- oder
verwertbarem durchforsteten Sie alles was Sie finden konnten. Die
Männer an der Ecke, die im grellen Licht des kleinen
Röhrenfernsehers standen und das Fußballspiel verfolgten, blickten
kurz auf und schauten sofort wieder weg. Sie folgte Ihrem Beispiel
und zog erneut das Tempo an und lief an dem Elend das Sie in den
letzten 2 Minuten gesehen hatte vorbei. Noch ein Stück durch die
Dunkelheit - dem Licht - welches sie bis grade noch hässlich fand,
entgegen. Heraus aus der Dunkelheit und Stille die so viel
verschleiert. Dunkel war es, und noch dunkler ist es, wenn man weiß
was in dieser Dunkelheit Nacht für Nacht geschieht. Still war es,
und doch laut. Laut, weil in der so erdrückenden Stille jede
Handlung so laut nach Hilfe schreit. Und doch war es still, weil
keiner dieser Schreie laut genug ist, damit diesen Menschen Hilfe
zukommt. Auf der großen beleuchteten Hauptstraße sieht die Welt
dann anders aus. Sie zog das Tempo erneut an und beeilte sich nach
Hause zu kommen, stellte sich dort unter die Dusche und versuchte
gesehenes abzuwaschen – ohne Erfolg.
Sehr beindruckender Bericht, interessant wäre wer diese Person mit dem I-Phone ist. War das evtl. deine eigene Erfahrung??
AntwortenLöschenWie sieht es jetzt zur Zeit aus?